Selbstregulierung: Warum Disziplin auch schaden kann

Einer der Schlüssel zu innerer Stärke, zu Resilienz, ist eine gute Selbstregulation.
Sie ist eine Voraussetzung für Widerstandsfähigkeit und Gesundheit.
Aber was ist eigentlich Selbstregulation? Und wie funktioniert sie?

Heißt sich gut regulieren zu können, dass man in der Lage ist sich zu disziplinieren und zusammenzureißen?
So wird es jedenfalls oft verstanden. Missverstanden.
Denn sich an eine Disziplin halten zu können ist nur ein Teil der Kunst sich selbst zu regulieren.

 

Einseitige Disziplin erschöpft.  

Viele Menschen, die sich für resilient halten – und auch von anderen als stark betrachtet werden – haben die Selbstdisziplin sehr einseitig ausgeprägt.
Sie können sich immer weiter antreiben und auf einem sehr aktiven Level halten.
Statt ab und zu innezuhalten legen sie eher noch einen Zahn zu ohne Rücksicht darauf, wie sie sich fühlen.
Entspannung und Erholung stellen sie immer wieder zurück, stattdessen ziehen sie ihr Pensum durch, bis sie „fertig“ sind.

 

Es geht darum immer wieder ins Gleichgewicht zu kommen.

Sich gut selbst regulieren zu können heißt aber, dass man in der Lage ist, immer wieder eine heilsame Balance herzustellen
zwischen Selbstdisziplin und Selbstberuhigung,
zwischen logischem Denken und intuitivem Handeln,
zwischen Anspannung und Entspannung.

Menschen, die es mit der Disziplin übertreiben, setzen auch Tätigkeiten, die ihnen Entspannung bringen, als innere Antreiber ein.
Sie nutzen sie, um damit ihr Durchhaltevermögen zu steigern.
Sie glauben, sich diese Dinge verdienen zu müssen.
Wenn sie sich aber nur dafür einen Wellnesstag gönnen, sich etwas Neues kaufen, sich mit Essen oder mit einem Konzertbesuch belohnen, ist die Entspannung in der Regel sehr kurzlebig. Denn danach geht die Plackerei von vorne los.

Um in Balance zu kommen brauchen Körper, Geist und Seele aber ausreichend Gelegenheit und Freiraum zur Entspannung und zum Genießen.
Einen gesunden Ausgleich finden wir
in zweckfreiem Tun wie Spielen, Tagträumen, Meditieren,
in Bewegung, die uns Freude macht und
im Zusammensein mit Menschen, die uns guttun.

Es gibt allerdings auch Menschen, die vor lauter Entspannung oder Impulsivität anstehende Notwendigkeiten aus den Augen verlieren.
Sie vernachlässigen Struktur und Zielgerichtetheit. Ihre Energie lassen sie in zufälligen Aktivitäten versickern.
Am Ende fühlen auch sie sich erschöpft. Sie haben das Gefühl, viel getan und nichts geschafft zu haben.

 

Was gibt Energie – und was kostet Energie?

Eine gute Selbstregulierung zeigt sich unter anderem daran, wie effizient wir unsere Energie einsetzen.
Freizeit verschafft uns Verschnaufpausen von der Anspannung des Alltags.
In ihnen schütteln wir Stress ab und füllen die Energiespeicher des Körpers wieder auf.
Untersuchungen haben gezeigt, dass Stressgeplagte, die sich ausreichend Freizeit gönnen, besser gestimmt und engagierter sind als die, die das außer Acht lassen.

Aber auch die Arbeit muss kein ständiger Energieräuber sein.
Im Erfüllen unserer Aufgaben erleben wir häufig auch Sinnhaftigkeit, Anerkennung und Kompetenz.
Wer mit etwas beschäftigt ist, das ihm Freude bereitet, ihn anspricht und interessiert, den strengt die Arbeit viel weniger an.
Wer angeregt und beschwingt bei der Sache ist, ist zudem nicht auf die Bestätigung von außen angewiesen, um seine Energie zu halten.

 

Gefühle sind Realitäten, auf die wir reagieren können.

Zu einer gelingenden Selbstregulierung gehört es auch, unsere eigene Befindlichkeit, unsere Gefühle und Impulse wahrzunehmen und anzunehmen ohne sie zu bewerten.

Viele Menschen unterscheiden auf die Frage, wie es ihnen geht, nur zwischen gut und schlecht – oder „neutral“, was so viel heißt wie „weder gut noch schlecht“.

Auch Gefühle, die uns auf den ersten Blick nicht wünschenswert erscheinen, haben eine bedeutsame Funktion.
Angst und Unsicherheit können signalisieren, dass ich in bestimmten Situationen (mehr) Schutz brauche und mich darum kümmern sollte.
Traurigkeit kann mich darauf hinweisen, dass ich gerade einen Verlust zu verkraften habe und dass dieser Verarbeitungsprozess Aufmerksamkeit und Energie braucht.

Gefühle in gute und schlechte zu sortieren, ist also genauso wenig hilfreich, wie sie zu übergehen oder unterdrücken zu wollen.
Vielmehr kommt es darauf an, diese Emotionen situationsangemessen regulieren zu können:

Was tue ich, wenn ich traurig / wütend / ängstlich bin?

Was tue ich, weil ich traurig / wütend / ängstlich bin?

Was tue ich, obwohl ich traurig / wütend / ängstlich bin?

Darauf kann es jeweils drei unterschiedliche Antworten geben.

Je differenzierter ich meine Gefühle und meine Reaktionen auf diese Gefühle wahrnehme, desto bewusster kann ich steuern, wie ich mit ihnen umgehen will.

 

Der Kern gelungener Selbstregulierung ist Balance.

Das Geheimnis gelungener Selbstregulierung liegt also darin, immer wieder eine wohltuende Balance herzustellen
zwischen Anspannung und Entspannung,
zwischen Tätigkeit und Pause,
zwischen Anstrengung und Genuss,
zwischen Intuition und Vernunft,
zwischen Gefühl und Sachlichkeit,
zwischen Tun und Lassen.
Abwechselnd werden beide Fähigkeiten gebraucht: sich disziplinieren und sich in Ruhe lassen.
Die Kunst besteht darin, beides zu können und einzusetzen für eine insgesamt gesunde und heilsame Balance.

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